wow suckel, ich finde dein gedicht hat eine tolle rhytmik und hat durch die doch moderne sprache ("knallt" etc.) ein besonderes etwas, das sich für mich irgendwie frech anhört.
das wird unterstützt das das lyrische ich eine morbide stellungnahme abgibt (bist endlich verschieden.).
edit: im folgenden post eine kurzgeschichte von mir. dazu muss ich sagen das ich sie nur einmal korrektur gelesen habe, direkt nachdem ich sie in 3 stunden am stück geschrieben habe. ich mag es wenn ein text so ist wie der fasser ihn in genau dem moment haben wollte. (wenn ich fotografiere habe ich auch lieber einen "schnappschuß" als ein durchgestyltes bild nach langer retuschierarbeit).
Die Rituelle Selbstopferung des Salvador Q.
Es war Sonntag, Salvador war gegen Mittag, nach einer durchgefeierten Nacht, aufgewacht und hatte sich etwa eine halbe Stunde später ins Badezimmer begeben. Nach gründlicher Ganzkörperreinigung unter der äußerst eigenwilligen Dusche seiner 40 Quadratmeterwohnung hatte er zunächst ein paar Gesichter auf den von kondensiertem Wasser verhüllten Spiegel gemalt, eine Tätigkeit der der tagträumerische Salvador schon einige leidenschaftliche Stunden seines Lebens gewidmet hatte. Anschließend hatte er seinen Markenrasierschaum aus dem Badezimmerschrank links neben dem Spiegel geholt, und sich etwa 14 Minuten lang hingebunsvoll rasiert. Hingebung war eine von Salvadors wichtigsten Characktereigenschaften. Was er mochte, tat er mit Herz, was er nicht mochte, verstand er mit minimaler Motivation und niedrigstmöglichem Aufwand grade noch zufriedenstellend hinzukriegen.
So gab er sich beim Rasieren wie jedes Mal große Mühe, sich nicht zu schneiden, und auch ja jede Stoppel von seinem Gesicht zu entfernen. Hin und wieder mischte sich ein Schimpfwort in das sonore Schabgeräusch des Rasierers, wenn Salvador eine Stelle oft nachrasieren musste um sie glatt zu kriegen. Ebenso aber stieß er just erfreute Seufzer aus, wenn eine Stelle besonders schnell seine Ansprüche erfüllte.
Nachdem er sich rasiert hatte, klingelte das Telefon.
Der Anrufbeantworter tat wofür Salvador ihn hätte bezahlen wollen, wenn es nötig war: er ging ran.
Es war der Anruf eines ehemaligen Zimmergenossen im Krankenhaus, Andreas.
„Hey Salva alte Hippe! Was geht bei dir Mann? Ich hab jetzt endlich meine Fahrradwerkstatt eröffnet, wenn du mal nen Job brauchst, meld dich! Samstag sind wir mit ein paar Leuten im 'Koopclub' wenn du magst, schau doch vorbei und wir trinken einen oder zwei!“
Andreas war im Krankenhaus gewesen nachdem ein Defekt seiner Gangschaltung eine Massencaramboulage auf einer Autobahnausfahrt verursacht hatte, dabei war seine rechte Kniescheibe gesplittert und hatte ihm so brutal die Bänder und den Meniskus zerrisssen, das er für den Rest seines Lebens zum humpeln verdammt war.
Ein harmloser Anruf? Mitnichten. Dieses monologisierte Tete-a-Tete zweier Bekannter erweckte in Salvador etwas aus seinem leichten Schlaf. Zukunfts- und Verlustängste, gepaart mit einem Cocktail aus Wünschen und Unsicherheiten, der zu lange gegährt hatte.
„Oh Scheisse.“. Diese Worte formten Salvador Q.'s Lippen lautlos während er gleichzeitig den Kopf hob und sein Spiegelbild betrachtete.
Er starrte es recht lange an, vielleicht fünf Minuten. Seine Gedanken rasten wie ein friesierter Manta, nur das er nicht Til Schweiger war.
„Du hast es ja leicht.“ sprach er weiter, sprach das Spiegelbild zu Ihm. „Du musst mich nur nachmachen und schwupps, hast du getan wofür du da bist. Du bist Selbstzweck. Nur ein Spiegelbild. Das verkehrte Abbild der Realität. Das Fenster zum Jetzt.“
Mit diesen Worte wollte er sich schon Umdrehen, doch da fiel ihm auf, das das Spiegelbild seinen letzten Satz nicht mitgesprochen hatte.
Verdutzt, und eine optische Täuschung im Verdacht, versuchte er nochmal sich zu drehen, bemerkte aber aus den Augenwinkeln, das sein Spiegelbild ihn immer noch anstarrte wie er vorhin in den Spiegel gestarrt hatte. Naja, vielleicht war es ein wenig röter im Gesicht als vorhin...
Und grade als Salvador seiner aus Verwunderung geborenen Neugier nachgeben und genauer hinsehen wollte schallte eine tiefe, liebevolle Stimme durch den Raum.
„Hör mal zu du Pappenheimer! „Du musst mich nur nachmachen und schwupps, hast du getan wofür du da bist.“ PAH! Auf solche Ideen kommt doch auch nur ein verweichlichter Trottel wie du.
Spiegelbilder sind Selbstzweck?! Hirnrissiger UNSINN! Ein Spiegelbild ist mehr als das Fenster zum Jetzt. Wir sind das Fenster zu Allem! Aber ein Muttersöhnchen wie du, das sich hinter dem Geld versteckt, das seine Eltern ihm schicken, der nichtmal eine Arbeit hat, aus Angst sein neues Herz zu sehr zu belasten, ein Wurm in goldenem Staub, der es nicht wagt weiter zu blicken als ins Tiefkühlfach seines Kühlschrankes. Ein Niemand, der sich glücklich glaubt, weil er ein geregeltes Leben hat. Der niemals darüber nachdenkt wie die Dinge hinter der Fassade sind, die Menschen ihnen bauen, um nicht darüber nachdenken zu müssen. Eine Drohne der Gesellschaft, ein ferngelenkter Klon des prototypischen Dummbürgers.
Aber das ist jetzt vorbei, mein werter Freund und Kupferstecher. Du hast Mächte beschworen, die dafür da sind dir eine Lektion zu erteilen, mächte die viele Namen tragen: Karma, Schicksal, Gott.
Mächte die ewig sind und sich nur dann einmischen wenn jemand wie du auf den Plan tritt, ein nichtmensch. Oder vielmehr der Nitzsche' Übermensch, einer der sich mit dem Schlechten einfach abfindet, aber seine Existenzlegitimation wieder verliert, weil er sich mit sich selbst abfindet.
Jetzt kriegst du gezeigt wie die Dinge laufen, weil du hoffentlich etwas damit anfangen kannst, ob du willst oder nicht. Und du wirst den verlangten Preis zahlen.“
Es war Salvadors Stimme.
Während dieses Monologes war Salvadors Gesichtsfarbe der von mit Wasser verdünnter Milch immer näher gekommen.
Fassunglos hatte er mitangesehen wie sein eigenes Spiegelbild ihm grade einen Vortrag über seine Nutzlosigkeit und sein Fehlen an Initiative gehalten hatte.
Fassungslos hatte er sich von seinem Spiegelbild die Existenz von Gott beweisen lassen.
Fassunglos stierte er das im Glas gefangene Selbst an, das doch nichts mehr von ihm hatte ausser dem Aussehen.
„D Ddd dann bist du also Gott?“ fragte er nach Sekunden der Stille zögerlich. Eine blöde Frage, er hätte vielleicht versuchen sollen wegzulaufen.
„Nein. Gott ist eigentlich ein viel zu personifizierter Begriff für das was Ich meine. Aber selbst das bin ich nicht. Ich bin entstanden aus der Summe deiner schlechten Entscheidungen, aus dem Grós deiner gescheiterten Versuche. Ich gab dir die Zeit im Krankenhaus, zum nachdenken, und was hast du getan? Du hast Skat gelernt, damit du mit den anderen Kranken spielen konntest. Was jetzt auf dich wartet ist sowas wie ein galaktischer Tritt in den Hintern, der dich zwangsläufig durch die Tür befördern wird, die schon seit Jahren offen vor deinen Augen steht.“
„Wie soll ich das verstehen, muss ich jetzt sterben?“ fragte Salvador und bemerkte, das sein Leben anfing an ihm vorbeizuziehen. Kurz nach seinem ersten Kuss kam die Antwort:
„Nicht ganz.“
Salvador schloß die Augen und formulierte eilig ein stummes Stoßgebet. Mittendrin wurde ihm klar das es wohl wenig zweck hätte jetzt noch zu beten, er konnte genausogut gleich laut um Gnade flehen.
Als er die Augen wieder öffnete, blickte er sich selbst in die Augen. Doch während der wahre Salvador verschreckt in einer Ecke hockte, war das zweidimensionale alter Ego Salvadors auf ein Knie hinuntergegangen und blickte ihm entschlossen in die Augen.
„Es wird Zeit für dich zu handeln, Salvador Q. . Denn wenn Ich einmal diese Wohnung verlassen habe, werde ich deiner Familie ein paar Unfälle bescheren. Denn wenn nicht du selbst etwas änderst, wird sich eben etwas ändern müssen, das dich betrifft.“
Salvadors Familie. Sein wundester Punkt. Seine Mutter war sein Schutzengel. Sie hatte ihn vor dem Unfall noch gewarnt, er solle aufpassen. Sie war als erste bei ihm im Krankenhaus und sie hatte stets auf seiner Seite gestanden.
Dann war da noch seine Schwester Cara, seine persönliche Schutzbefohlene, für die er schon so manchen Streit angefangen hatte, denn Cara war geistig behindert und dementsprechend öffentlichem Spott ausgesetzt. Einmal hatte er sogar einen alten Mann geschlagen, der gesagt hatte das „diese geistigen Tiefflieger doch nur die Steuern auffressen die sich unsereins hart erarbeiten muss.“ Der Alte hatte ganz schön geguckt als ein vierzehnjähriger auf Ihn losging und von einem vorbeigehenden Passanten aufgehalten werden musste.
Salvadors Vater war nach Caras Geburt mit einer jungen Opernsängerin abgehauen, weiss der Geier wohin, DEN konnte sein Spiegelbild ruhig haben.
Bei dem Gedanken seine Mutter und seine Schwester zu verlieren legte sich ein roter Schleier auf seine Wahrnehmung, ganz wie im Kino, wenn der Bösewicht kurz vor seinem endgültigen Ende nochmal alles auf rohe Gewalt setzt.
Er griff nach dem Duschkopf, der in Reichweite seines rechten Armes (er war allerdings Linkshänder) war, und nahm ihn dann in die Linke. Das Adrenalin durchströmte seinen Körper wie eine Droge, es machte aus dem unsicheren Milchgesicht einen entschlossenen Vollstrecker.
Er erhob sich wie in Zeitlupe. Das Badezimmer verschwamm. Tunnelblick.
Er blickte seinem eigenen Körper in 2d entgegen, und erhob den Duschkopf.
Der erste Hieb traf voll ins Schwarze. Der Schlauch trennte sich geräuschvoll von der Wand und der Duschkopf verpasste dem Spiegelbild eine Nase, wie man sie sonst nur von Axel Schulz kennt.
Zeitgleich mit dem Brechen der Nase des Spiegelbildes, bemerkte Salvador, taub vom Adrenalin, das sich seine Nase aus seinem peripheren Blickfeld entfernte. Ihm schossen Tränen in die Augen und er bemerkte das sein gesicht feucht wurde, aber es kümmerte Ihn alles nichts. Er schlug weiter zu. Er verfolgte die feste Absicht jeden Knochen im Leibe des anderen zu zerschmettern, zu pulverisieren. Er war ein Todesstern. Das personifizierte Ende. Ein Amokläufer sonder Gleichen.
Er schlug aufs Bein, und der Gegner fiel hin. Salvador landete auf Ihm und hieb auf den Brustkorb.
Salvadors größter Feind spuckte Blut und sein Bademantel färbte sich tiefrot. Zwei schmerzerfülltes Husten zwischen den einzelnen Hieben.
Am Ende dieser Sinfonie des Hasses und der zwischenmenschlichen Abgründe musste Salvador vor lauter Erschöpfung schon mit beiden Armen den Duschkopf heben, um ihn auf Salvador 2 fallen zu lassen.
Er sah und hörte kaum noch etwas, aber er fühlte sich gut, besser denn je, perfekt, auf dem Höhepunkt seines Seins, die befreiende Erfahrung, Macht über Leben und Tod haben zu können ohne sich je rechtfertigen zu müssen. Wer würde auch je glauben das er sein eigenes Spiegelbild mit einem Duschkopf erschlagen hatte?
Völlig am Ende lehnte er gegen die Badewanne. Und da bemerkte er erst, das sich die Verletzungen seines Gegenüber und die Seinen völlig glichen. Sein Blick haftete kurz auf dem Duschkopf in der rechten Hand des Spiegelbildes, dann sagte er:
„Wenigstens spürst du Schmerzen, die Schreie habens verraten.“
„Das waren deine, Salva. Ich habe Schmerzen, ja, aber ich habe auch Selbstbeherrschung.“ - röcheln - „Aber wie ich mich fühle dürfte dir klar sein. Lass uns mal sehen wie es um dich steht, ohne Adrenalin, versteht sich.“
Salvador merkte wie er irgendwo im inneren ein Leck bekam. Das betäubende Adrenalin wurde abgepumpt, es verschwand, als würde ein schwarzes Loch es aussaugen. Schlagartig kehrte in die Realität zurück, die Realtität des Schmerzes. Er schrie jäh auf, lauter denn je. Er krümmte sich und wandte sich in apokalyptischer Agonie, bis ihn eine barmherzige Ohnmacht umfing.
*
Als er wieder wach wurde, war es still. Salavador rappelte sich benommen auf, und stellte dabei fest, das das Badezimmer weder verwüstet noch blutbesudelt war. Als er dort an die wand sah wo der Spiegel stehen sollte, wurde ihm bange.
In der Wand befand sich ein Loch, durch das hindurch er ein Kabinett aus Spiegeln sehen konnte, von denen jeder einzelne eigenständige Bilder zeigte, die sich vermutlich auf der anderen Seite spiegelten, denn ausser dem Kabinett war hier nichts.
„Was zum...?!“ Bevor er die Frage beendete, wurde er hineingesogen, immernoch taub von dem Kampf, so er denn überhaupt stattgefunden hatte, hatte Salvador Q. nicht bemerkt wie das Loch in seiner Wand immer stärker an ihm gesogen hatte, bis er jetzt schließlich den Boden verließ und hineinflog.
Wieder ertönte eine Stimme aus dem „Nichts“, nur war sie diesmal zwar tief, aber alles andere als liebevoll. Vielmehr klang sie nach einem verärgerten Grizzly.
„Hör zu, Salvador:
du hast den Preis gezahlt, für diese Lektion. Du hast dein Spiegelbild erschlagen, so wie Ich es gewollt hatte. Die Symbolik ist dir nicht klar, oder? Das muss sie auch nicht sein, wichtig ist, dass Es geschehen ist. Du sollst nur wissen, das Spiegel mehr sind als der Widerschein der Realität, sie sind die Achse, an der sich Vergangenheit und Hoffnung, Erinnerungen und Wünsche, ja sogar Fakten und Möglichkeiten gegenüberstehen. Aber soweit denkt ihr ja nie, Menschen sehen immer bloß das offensichtliche, das zwangsläufige Ergebnis dieser immensen intellektuellen Faulheit in der ihr lebt. Aber geh nun und nutze deine zweite Chance, du glücklicher unter den Sklaven ihrer Selbst.“
Sprachlos wie er war blinzelte Salvador erstmal. Man begegnete nicht jeden Tag sowas wie Gott.
Als er die Augen wieder aufschlug, stand er allerdings nicht mehr im Spiegelkabinett.
Er war im Bahnhof. Gleis 7.
Und wie er da so stand, fing es an zu regnen.
Laut Anzeigetafel sollte der Zug von Oer-Erkenschwick nach Düsseldorf in 5 Minuten kommen.
Das Gebrabbel der Umstehenden wurde durch eine unverständliche Durchsage unterbrochen.
Ein Tropfen schlug auf Salvadors Nase auf. Dann noch einer, und noch einer.
Und wie er so im beginnenden Regen stand, riss ihn eine zuckersüße Stimme aus seiner fassunglosigkeit über das Erlebte: „Ähm, 'tschuldigung, wenn du noch vorhast den da zu benutzen, würd ich mich gern mit drunterstellen wenns geht.“ Eine attraktive junge Brünnette mit dickrandiger avant-garde Brille. Etwa einsfünfundsechzig, zwischen 20 und 25.
Mit ihrer linken Hand deutete Sie auf Salvadors rechte, in der er, bis dahin unbemerkt einen grünen Regenschirm hielt, fast so, wie er den Duschkopf gehalten hatte.
Allgemein wurde ihm jetzt erst klar, wie er überhaupt angezogen war:
Er trug robuste Lederhalbschuhe, eine unauffällige Hose und einen wetterbeständigen Parka.
Dazu eine volle Reisetasche und ein Rucksack, beides in unwirklich anmutendem Punktlook, weiss auf dunkelblau.
„Öh....“
„Na mach schon, gleich sind wir so naß das wir ihn nicht mehr brauchen.“
Er öffnete den Schirm und hob ihn trotzig gegen den Regen, so das Salvador und die Unbekannte trocken blieben.
Strahlend hielt sie ihm die linke Hand hin und fing an, Konversation zu machen
„Also, mein Name ist Kamomill Sörensen, und wer bist du?“