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Wirtschaftswunder Deutschland?

Verfasst: 18.08.2005, 17:37
von agra
Nachdem immer nur Negatives über den Standort Deutschland zu lesen ist, vor allem in der deutschen Presse, ist es doch einmal interessant zu lesen, wie die internationale Presse darüber denkt. Anscheinend geht es uns doch besser, als von den Medien angenommen.

Gerade der Schlusssatz ist sehr interessant: Ich bin gespannt, wie die deutsche Politik, besonders die Union, darauf reagieren. Wird dieser Artikel im Wahlkampf Beachtung finden? Wird er gar wahlentscheidend sein?
"Economist" bejubelt deutsche Wirtschaft

So etwas gab es seit Jahren nicht mehr: Der "Economist", das einflussreichste Wirtschaftsmagazin der Welt, bejubelt den Standort Deutschland. Den Aufschwung vermasseln, so mahnt das Blatt, könnten nur noch die deutschen Politiker.


Hamburg - "Deutschlands überraschende Wirtschaft" titelt der "Economist" auf seinem morgigen Cover. In der Titelgeschichte der internationalen Ausgabe lobt das wirtschaftsliberale Magazin die Reformen der vergangenen Jahre. Der deutsche Bundesadler, heißt es in einem Kommentar "spreizt seine Flügel".

Wenn das Leitmedium der globalen Wirtschaft eine derartige Prognose abgibt, sorgt das in der Regel für Aufsehen. Und der "Economist" spart nicht mit Lob: Deutsche Arbeitnehmer und Gewerkschaften hätten in den vergangenen Jahren ein hohes Maß an Flexibilität bewiesen. Deutschlands Konzerne seien erfolgreich restrukturiert worden und hätten ihre Kosten gesenkt.

"Deutschland, lange der teuerste Wirtschaftsstandort Europas, hat in ... einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Frankreich, Italien, den Niederlanden und sogar Großbritannien aufgebaut", schreibt das Blatt. Die Lohnstückkosten, eine der wichtigsten Vergleichszahlen, seien seit Ende der neunziger Jahre um mehr als zehn Prozent gefallen.

Ebenfalls bedeutsam für die wirtschaftliche Gesundung des Landes sei, dass der über Jahre kränkelnde Bankensektor "seine Kosten und Bilanzen unter Kontrolle" gebracht habe. Das Vertrauen deutscher Manager in die eigene Wirtschaft steige in Folge der verbesserten Aussichten wieder.

Lob für die Agenda 2010

Positiv beurteilt der "Economist" auch die Sozialreformen der rot-grünen Bundesregierung (Agenda 2010). Vor allem die umstrittene Hartz-IV-Reform habe dazu geführt, dass es für 1,8 Millionen Langzeitarbeitlose inzwischen "weniger kuschelig" zugehe. Zudem hätten die verschärften Bedingungen die Angst deutscher Arbeitnehmer vor dem Verlust ihres Jobs erhöht. "Das hat die Verhandlungsposition der Firmen bei neuen Tarifabschlüssen gestärkt und die Macht der Gewerkschaften geschmälert."

Sobald die schwache Nachfrage in Deutschland anspringe, könne die Wirtschaft zu alter Stärke zurückfinden. Das daniederliegende Verbrauchervertrauen sei zurzeit der größte konjunkturelle Hemmfaktor. Zunichte gemacht werden könne der sich abzeichnende Aufschwung allenfalls noch von der Politik.

Das Blatt kritisiert die Pläne von Kanzlerkandidatin Angela Merkel (CDU), die Mehrwertsteuer nach der Wahl um zwei Prozentpunkte zu erhöhen. "Deutschlands öffentliche Finanzen sehen grässlich aus, doch es ist zu früh, von Steuererhöhungen als Problemlösung zu reden. Unternehmens- und Einkommenssteuer müssen gesenkt und nicht angehoben werden."

Thomas Hillenbrand
Quelle: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,370313,00.html

Verfasst: 18.08.2005, 20:13
von Gustavo
Ähnliche Artikel hat mir autsch schon vor 6 Monaten gezeigt. Das Problem ist, dass es seitdem nicht sonderlich bergauf ging und der Economist nun mal nicht das Maß aller Dinge ist, wenn es um Wirtschaftskompetenz ging. Das sind immernoch Wirtschaftswissenschaftler und deren Interviews im Spiegel haben alle den gleichen Tenor: Es muss sich etwas ändern.

Verfasst: 18.08.2005, 20:31
von Rex*Cramer
Wäre interessant, mal das Original zu sehen, da ich mir nur schwer vorstellen kann, daß die Jungs beim Economist derart blauäugig sind. Außerdem ist fraglich, an wen der Artikel gerichtet ist - sicher nicht an die Arbeitslosen hier. Das macht nur einigermaßen Sinn, wenn der Addressat international anlegende Investoren sind. Schönrederei bringt uns jedenfalls nicht weiter. Das hatten wir schon die letzten 7 Jahre.

Verfasst: 18.08.2005, 20:53
von autsch
Morgen sollte das Heft erscheinen und nachdem ich in den Ferien hart gearbeitet habe, werd ich mir den Economist holen.
Eigentlich war ich bisher mit den Artikeln sehr zufrieden, mal schauen, was in diesem steht. Vielleicht malt er die Sachen einfach nicht so schwarz wie andere bzw. vielleicht sind andere einfach nur schlechter.
Naja, mal schaun ;)

Verfasst: 27.08.2005, 10:58
von greenthumb
Und wenn es grad mal einfach nicht so gut läuft? Ist es nicht denkbar dass all diesen Analysten und Politikern einfach nicht (mehr) klar ist dass Sie vieleicht gar keinen Einfluss mehr auf die Wirtschaft haben (und wenn dann bestenfalls einen negativen)?

Würde denn der Kanzler öffentlich sagen: Leute sorry es läuft grad nicht so. Habt ein bisschen Geduld? Niemals! Ich will nicht wissen wieviel schon falsch gemacht wurde aus reinem Aktionismus heraus.

Verfasst: 27.08.2005, 12:47
von Rex*Cramer
Was heißt hier, es läuft grad mal nicht so gut? Deutschland kämpft mit Strukturproblemen, die teilweise Jahrzehnte alt sind. Ich glaube, den meisten Menschen ist nicht annähernd klar, was Sache ist. Man muß sich mal vor Augen halten: Wenn Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg mit dem Wirrwarr an Verwaltung und dem Sozialsystem, wie wir es heute haben, gestartet wäre, hätte es nie ein Wirtschaftswunder gegeben!
Vor der letzten Bundestagswahl hat die Union immer wieder betont, daß endlich was passieren müsse, weil Deutschland rund 300 Arbeitsplätze jeden Tag verlieren würde. Hat niemanden interessiert, es sind trotzdem wieder die Leute gewählt worden, die schon 4 Jahre vollständig versagt hatten und sogar noch kleine Anfänge in die richtige Richtung wieder rückgängig gemacht haben (demographischer Faktor, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Kündigungsschutz etc.). Jetzt gehen gut 1.000 Arbeitsplätze tagtäglich den Bach runter. Statt endlich mal der Realität ins Auge zu sehen, begnügen sich viele Menschen mit Artikeln wie o.g. und wählen stumpf weiter eine Truppe, die uns geradewegs ins Chaos führt. Notfalls kommen dumme Sprüche wie "haben noch nicht genug Zeit gehabt". Ja, wofür denn?
Eichel hat seit Jahren keinen verfassungsgemäßen Haushalt mehr aufgestellt (er kommt nur damit durch aufgrund von Gesetzeslücken), Maastricht scheint uns ohnehin nicht mehr zu interessieren. In Zukunft wird es richtig 'lustig', wenn kein Tafelsilber mehr verhökert werden kann, womit sich der Minister die letzten Jahre noch halbswegs über Wasser halten konnte. Dann kann man auch nicht mehr die Schwankungsreserve der Rentenversicherung senken, weil nichts mehr davon da ist. Kann man beliebig fortsetzen. Daß es bei manchen Ländern und vielen Kommunen noch schlimmer aussieht, habe ich ja schon angedeutet zu einem anderen Thema.
Für mich ist das unverständlich, wie man so wenig Sinn für die Realität haben kann, sich aber stattdessen an an den Haaren herbeigezogenen 'Argumenten' noch berauscht, z.B. die politischen Gegner wären Kriegstreiber usw., auch wie kürzlich in einem anderen Thread aufgezählt (ist niemand drauf eingegangen, wohl weil es eben nur hohle Phrasen sind ohne echte Argumente dahinter). Je größer die Lücke wird zwischen Anspruch und Wirklichkeit der eigenen Überzeugung 'seiner' Partei, desto lächerlicher werden die 'Argumente', die sich aus den Fingern gesogen werden.

Original geschrieben von greenthumb
und bla bla bla kein Wahlgewäsch, mal dennoch: Ich wähl diesmal die Schwarzen und die Gelben, letztes mal warns die Rot-Grünen, und wenn sich in 4 Jahren wieder nur Scheisse abgesetzt hat dann arbeite ich mich ganz neutral durch alle weiteren Farben durch (ja alle).
Ich werde es auch so halten wie du, nur mit dem Unterschied, daß ich letztes Mal schon gegen die Regierung gestimmt habe, nachdem sie 4 Jahre mehr Schaden als Gutes angerichtet hat.
Damals kam schon das Gelaber, man müsse ihnen nur mehr Zeit geben nach 16 Jahren Kohl. Aber auch da war die Voraussetzung dafür, daß erstens richtige Maßnahmen eingeleitet worden hätten sein müssen, die halt länger gebraucht hätten oder noch brauchen würden, um zu wirken (was nun mal meistens so ist in der Wirtschaft), aber da nichts beschlossen wurde, was hätte eine Wende zum Besseren schaffen können, ist das null und nichtig. Zweite wäre, daß man sich mit Volldampf auf dem richtigen Weg befunden hätte und nun mehr Zeit brauchen würde, um den Reformkurs fortsetzen zu können. Auch hier Fehlanzeige: Job-Floater, Ich-AGs, Personalserviceagenturen, Hartz IV etc. sind arbeitsmarktpolitisch völlig danebengegangen, blähen aber die Verwaltung weiter auf. Dazu gibt es noch vollkommen weltfremde Ideen wie die Ausdehnung des Entsendegesetzes (das schon die Misere am Bau viel schneller vorangetrieben hat, als es sonst der Fall gewesen wäre), einen Mindestlohn (lol?), Ausbildungsplatzabgabe u.ä. 'spaßige' Vorschläge. Allesamt würden die Regulierung und Verwaltung hochtreiben, so daß nur eine Schlußfolgerung wahrscheinlich möglich ist: Sie sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht; das Grundproblem Deutschlands ist noch gar nicht erkannt worden.
Wie auch immer: Wenn es halt eine neue Regierung auch nicht bringt, wird eben in 4 Jahren wieder anders gewählt.