Verfasst: 30.05.2005, 00:12
pfff, das sieht mans mall wieder, frankreich :/
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Abstimmung der Ahnungslosen – Die EU-Verfassung im Bundestag
Anmoderation
Anja Reschke:
Wie gut, dass wir keine Franzosen oder Niederländer sind. Sonst müssten wir uns jetzt in fünfhundert Seiten, 448 Artikel und 36 Zusatzprotokolle einarbeiten. Aber hier in Deutschland stimmt nicht das Volk, sondern das Parlament über die neue EU-Verfassung ab. Praktisch, sparen wir uns auch gleich teure Aufklärungskampagnen. Unsere Aufgabe als Bürger ist simpel, wir sollen Europa einfach gut finden und uns sonst möglichst nicht einmischen. Da uns ja der Blick auf das Große und Ganze fehlt, wie Politiker immer wieder beteuern, sollen wir uns nur auf unsere gewählten Volksvertreter verlassen. Und dass die 601 deutschen Abgeordneten heute morgen nach bestem Gewissen und vor allem aber Wissen abgestimmt haben, versteht sich ja von selbst – oder? Ein kleiner Test im Bundestag von Tamara Anthony, Gesine Enwald und Eilika Meinert lässt allerdings Zweifel aufkommen.
Berlin heute morgen. Die wackren Volksvertreter eilen ihrer ureigensten Aufgabe entgegen. Vom höchsten Rang ist die Mission, schließlich gilt es die Hand zu heben für die Verfassung der EU. Ein Vertragswerk, das im Prinzip über dem Grundgesetz steht.
Entsprechend ist der Bundespolitiker im Bilde, hat sich in den letzten Tagen in Fraktionen und Ausschüssen noch mal auf die Höhe der Information gepuscht.
Er wird dieses Werk kennen. Zum Beispiel sollte er wissen: Was schreibt die Verfassung fest in punkto demokratische Rechte des ganz normalen Menschen.
Erste Frage - ganz leicht. Zunächst FDP-Außenexperte Gerhard.
Frage: „Gibt es auf EU-Ebene die Möglichkeit für ein Bürgerbegehren?“
Richtige Antwort heißt: Ja, mit einer Million Unterschriften.
Antworten:
O-Ton
Wolfgang Gerhardt:
(FDP-Außenexperte)
„Soweit ich weiß, nein.“
O-Ton
Friedbert Pflüger:
(CDU-Außenexperte)
„Auf EU-Ebene glaube ich nicht.“
O-Ton
Horst Schild:
(SPD, MdB)
„Nein“
O-Ton
Ernst-Reinhard Beck:
(CDU, MdB)
„Nein, das ist nicht der Fall.“
O-Ton
Marga Elser:
(SPD, MdB)
„Das ist nicht vorgesehen.“
O-Ton
Joachim Hörster:
(CDU-Außenexperte)
„Die Verfassung regelt nicht das Bürgerbegehren, was das alleine nationalstaatliches Recht ist.“
Noch mal zur Erinnerung: Die richtige Antwort heißt: JA.
Bürgerbegehren sind möglich, verbrieft in der Verfassung und sogar nachzulesen in kleinen Broschüren fürs Volk.
Die Politiker kurz vor der Abstimmung, nach besten Wissen und Gewissen greifen sie nach den Stimmkarten.
Ihr Gewissen mag rein sein, ihr Wissen ist nicht unbedingt das beste.
Nächste Frage: „Auf welchen Politikfeldern zum Beispiel hat laut Verfassung dieser illustre Bundestag nichts mehr zu melden, wo ist allein die EU zuständig?“
Antworten:
O-Ton
Marga Elser:
(SPD, MdB)
„Ja, das ist die europäische Verteidigungspolitik.“
Verteidigungspolitik? Völlig falsch. Richtig ist: Zoll-Union und Wettbewerb im Binnenmarkt und Eurowährungspolitik.
O-Ton
Marga Elser:
(SPD, MdB)
„Allein die EU“
Auch noch gemeinsame Handelspolitik oder Erhalt der Meeres-Resourcen - fünf Bereiche.
O-Ton
PANORAMA:
“Schwierig, ne?”
O-Ton
Hans-Christian Ströbele:
(Grüne, MdB)
„Das kann ich Ihnen auch auswendig nicht sagen. Das sind sehr viele.“
O-Ton
Ortwin Runde:
(SPD, MdB)
„Mir, ehrlich gesagt, keine richtig bekannt als ausschließliche Kompetenz.“
O-Ton
PANORAMA:
„Fallen Ihnen da zwei ein?“
O-Ton
Petra Pau:
(PDS, MdB)
„Kann ich Ihnen jetzt so ganz konkret nicht beantworten.“
O-Ton
Silke Stokar:
(Grüne, MdB)
„Allein die EU, hm.....Außen....ich passe.“
Wissenslücken in dem sonst so wichtigen Kompetenzgerangel zwischen EU und Nationalstaat. Spätestens jetzt wissen wir, Abgeordnete brillieren vielleicht im Sport oder Verkehrsausschuss, aber in Sachen Verfassung folgen sie weitgehend blind der Fraktionslinie.
Und da war doch noch der Knackpunkt der Verfassung, um den mehr als ein Jahr gestritten wurde. Es ging um die sogenannte qualifizierte Mehrheit und deren Stimmgewichtung.
Welche Mehrheiten braucht es in der Regel, um im fernen Brüssel ein Gesetz zu verabschieden?
Es steht heute in den Zeitungen: 55% der Mitgliedsstaaten mit mindestens 65% der EU- Bevölkerung sind nötig, um im Ministerrat ein Gesetz zu verabschieden.
O-Ton
Marga Elser:
(SPD, MdB)
„Oh (lacht), in Zahlen und Prozenten habe ich mir das noch gar nicht überlegt.“
O-Ton
Silke Stokar:
(Grüne, MdB)
„Kann ich Ihnen nicht sagen.“
O-Ton
Cornelia Pieper:
(FDP, MdB)
„Ach, jetzt werden Sie aber sehr detailliert zum frühen Morgen (lacht).“
O-Ton
Friedbert Pflüger:
(CDU-Außenexperte)
„Das weiß ich nicht, das muss ich im Einzelnen nachschauen.“
O-Ton
Petra Pau:
„Oh, da passe ich jetzt.“
Endlich ist es so weit. Begierig stürzt sich das Stimmvieh auf die Urnen. Namentliche Abstimmung, blaue Karte: ein klares Ja für die Verfassung.
Es ist vollbracht, die Arbeit ist getan, bleibt Zeit für eine Frage, nachzulesen im Artikel 8 der Verfassung: „Wie viel Sterne sind denn auf der EU-Flagge?“
O-Ton
Wolfgang Thierse:
(SPD, MdB)
„Gott, hab’ ich noch nie gezählt, ich hoffe, es sind dann 25, so viel wie Mitgliedsstaaten.“
O-Ton
Wolfgang Gerhardt:
(FDP-Außenexperte)
„Oh, das kann ich Ihnen nicht sagen.“
O-Ton
Wolfgang Clement:
(Wirtschaftsminister)
„Da zählen Sie selbst mal nach.“
O-Ton
Ortwin Runde:
(SPD, MdB)
„(Lacht) – hoffentlich bald 25 und mehr.“
O-Ton
Hans-Christian Ströbele :
(Grüne, MdB)
„Das kann ich Ihnen nicht sagen, wahrscheinlich sind’s 25, aber ich bin nicht ganz sicher.“
O-Ton
Rüdiger Veit:
(SPD, MdB)
„Da muss ich einen Augenblick nachdenken. Sie bleiben auch unverändert - (überlegt): vierzehn.“
O-Ton
Petra Pau:
(PDS, MdB)
„Sie ist nicht erweitert worden, d.h. sie hat so viel Sterne wie Mitgliedsstaaten vor der Erweiterung im vergangenen Jahr.“
O-Ton
PANORAMA:
„Das sind?“
O-Ton
Petra Pau:
(PDS, MdB)
“Blamieren Sie mich jetzt nicht (lacht).”
O-Ton
Martin Dörmann:
(SPD, MdB)
„Es müssten 16, nee, 15 sein. Hm, ja, nicht? Habe ich daneben getippt? (Lacht)“
O-Ton
Klaas Hübner:
(SPD, MdB)
„Das sind ja unglaubliche Fragen hier (lacht). Hm, 25? 26? Sagen Sie mal.“
O-Ton
Renate Künast:
(Grüne, MdB)
„12 oder 15. Auf alle Fälle nicht die Zahl, die wir jetzt an Mitgliedsstaaten sind und sein werden.“
Wenigstens eine, die es fast gewusst hat. Es sind 12, das war schon immer so und dabei wird es bleiben. Es dauert wahrscheinlich noch ein bisschen, bis wir alle Europäer sind.
Bericht: Tamara Anthony, Gesine Enwaldt, Eilika Meinert
Schnitt: Michael Schlatow
Abmoderation
Anja Reschke:
Was sie da heute beschlossen haben, ist also nicht allen Abgeordneten klar. Um so klarer war allerdings das Ergebnis: 569 stimmten für die Verfassung, die sie wohl kaum gelesen haben. Das sind satte 95 %. In Vielfalt geeint? So das Motto der EU. Heute muss es eher heißen: in Unwissenheit geeint.
ROTFL. Kaum jemand kann sie zu 100% erfassen und ihre Bedeutung für die Zukunft ausdeuten, aber wenigsten einige Punkte für sich darin ausmachen, die ihn betreffen und eben demnach sich sein urteil bilden. Das gilt für den einfachen Arbeiter, wie für den Lehrer, dem leitenden Angestellten, dem Universitätsprofessor oder dem Fabrikinhaber. Und da wir in einer pluralistischen Gesellschaft leben, ist es einfach dem Realitätssinn geschuldet anzuerkennen, dass eine Vielfalt von divergierenden Stimmen zu hunterttausenden das Für and Wider in die Waagschale werfen.Original geschrieben von |master|
Tja das ist die andere Seite der Medaille. Ein $Arbeiter in Frankreich hat sich aber mit Sicherheit auch nicht in die Thematik der Verfassung eingearbeitet und sie verstanden, soviel ist sicher.