Jonnywalka hat geschrieben:@Gustavo, antworte doch mal hierdrauf. Das versuche ich ja auch dir seit längerem abzunötigen.
Bitte was? Was ich zu dem Thema denke, habe ich doch schon mehrfach und ausführlich geschrieben (siehe bspw.
hier). Aber gut, die Kurzversion davon:
Positiv:
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Kriminalität und unterdurchschnittliches Erwerbspotenzial überdurchschnittlich auftreten. Wenn du lediglich nach dem "Nutzen" für die Gesellschaft selektieren willst, würde ich auch davon abraten, die meisten dieser Leute ins Land lassen. Nun ist es aber nicht so, als würden diese Leute Asylanträge aus geordneten Gesellschaften stellen oder zumindest aus stabilen Autokratien fliehen*. Zumindest momentan fliehen die meisten dieser Leute aus Ländern, in denen das Leben gefährlich geworden ist.
Auch bin ich ganz wie er (und wie schon explizit so geschrieben) der Meinung, dass "Japaner oder Südkoreaner" sich besser und mit weniger Förderung in die Gesellschaft integrieren könnten als die jetzt ankommenden Flüchtlinge. Nur ist es nun mal so, dass es keine bzw. extrem geringe einwanderungspolitischen Opportunitätskosten gibt, wenn man diese Asylbewerber ins Land lässt, weil sie in keiner Weise leistungsfähigeren Einwanderern die Plätze wegnehmen, da wir keine Einwanderungskontigente haben†.
Negativ:
Es wird sich (wie immer) keine Mühe gemacht, kulturelle und sozioökonomische Faktoren zu trennen. Dass "der Islam"™ der Hauptgrund dafür ist, dass die Integration von Muslimen nicht besser läuft, wird nicht mal versucht zu belegen (weil es nicht gelingen würde). Allerdings habe ich durchaus Sympathie für deine Ansicht, dass du diese Trennung für akademisch hältst, weil es egal ist, ob nun der Islam selbst Schuld ist oder der Islam die Ausprägung von soziokulturellen Umständen in den Heimatgesellschaften verhindert hat, was die Integration erschwert. Wiederum: Wenn ich selektieren wollte, würde ich diese Leute nicht reinlassen.
Die Sache mit der Kriminalität ist mal wieder absurd undifferenziert (ebenfalls: wie erwähnt, siehe
hier). Klar, wenn man alle Ankommende als eine undifferenzierte Masse wahrnimmt, dann steigt durch diese Masse die Kriminalität. Aber wenn man sich anschaut, wer mit welchen Anreizen (und vor allem: an wem) Kriminalität verübt, dann stellt sich das als mittelfristig absolut vernachlässigenswertes Thema heraus. Das ist übrigens die eine Sache, wo du auch maßlos übertreibst, ohne groß den Beweis anzutreten, dass "eine neue und schlimme Dimension der Gewaltkriminalität" in irgendeiner Form realistisch ist, anstatt einfach die bisherigen Trends fortzuschreiben. Nicht zuletzt muss man sich nur anschauen, wie die BRD heute aussieht und man sieht, dass das jetzt auch kein epochales Problem ist, außer natürlich das eigentliche Problem ist, dass die Kriminalität von Nicht-Deutschen an Deutschen den Betrachter besonders schmerzt.
Und dann noch die Behauptung, dass Integrationspolitik von "untergeordneter Bedeutung" ist: Woher diese bahnbrechende Erkenntnis kommt, wird natürlich nicht erwähnt. Würdest du darauf wetten, dass Leute die zur Integration in Arbeitsmarkt, Bildungssystem und Rechtssystem forschen das unterschreiben würden? Dagegen würde ich jede Wette halten. Von welchem Niveau man bei den Asylbewerbern man im Schnitt ansetzen muss und auf welches Niveau sie damit gehoben werden können erscheint mir momentan mehr als unklar.
Ergo:
1. Die Art, wie auf dieses Problem reagiert wird, ist nicht die Art, die
ich gewählt hätte. Es ist auch absolut nicht, wie ich mir die Einwanderungspolitik unter normalen Umständen vorstelle. Aber:
2. Es gibt zwar keine klare Prognose für die Kennwerte der Integration, aber zumindest einen Korridor aufgrund der gemachten Erfahrungen unter den Voraussetzungen der BRD. Der Mittelwert davon erscheint mir persönlich eher negativ, aber meilenweit von Horrorszenarien ("neue Qualität der Gewaltkriminalität", "Frauen trauen sich nachts unbegleitet nicht mehr auf die Straße", Einschnitte in Sozialleistungen aufgrund von "Kostenexplosion" durch Flüchtlinge etc.) entfernt, mit denen implizit argumentiert werden muss, damit die Flüchtlingskrise erst als epochales Problem interpretiert werden kann. Damit das eintritt, müsste es DRASTISCH schlechter laufen als bisher (bei vergleichbarem sozioökonomischen Hintergrund) und um das als realistisch zu sehen, müssten stichhaltige Beweise ins Feld geführt werden. Das passiert nicht, weil es diese Beweise einfach nicht gibt, außer man ist bereit extrem tendenziöse Annahmen als realistisch anzulegen. Was glaubst du, woher die härtesten Gegner der aktuellen Flüchtlingspolitik ihre Antipathie nehmen? Glaubst du sie haben sich tatsächlich über die Zahlen informiert? Glaubst du sie schauen auf ihr eigenes Kosten-Nutzen-Kalkül? Das halte ich für naiv.
3. Ich gebe zu, dass Merkel dem Problem Vorschub leistet, aber die Art wie manche Leute über die langfristige Lösung des Problems der Integration angeht, ist ebenfalls realitätsfremd. Gehen wir mal bar jeder Hinweise davon aus, es gäbe in fünf Jahren eine neue Dimension der Gewaltkriminalität. Zu glauben, die aktuelle Policy würde einfach so fortgeschrieben ist in etwa so realitätsnah wie die berechnete Staatsverschuldung für 2080. Es ist wahr, Asylbewerber sind durch Dublin rechtlich in einer guten Position, weil hier ein Höchstwert darauf gelegt wurde, Asylanträge überhaupt in irgendeinem Land in Europa zu ermöglichen. Es ist aber keineswegs so, dass das auch noch für den Zeitraum gilt, nachdem der Fluchtgrund erloschen ist. Sollten der Mehrheit auf Dauer grob negative Konsequenzen aus dem Aufenthalt der Flüchtlinge erwachsen, wird sich das Durchschlagen und dann wird der Staat durchaus Mittel finden, diese Leute zurückzuschicken.
4. Warum trotzdem Aufnehmen? Verrechnung des Nutzens und der Kosten (vermutlich negativ) für Deutschland mit dem Nutzen für die Flüchtlinge selbst (sehr groß, insbesondere für Familien). Gleichzeitig muss man aufpassen, dass die anderen Staaten (insbesondere in Europa) nicht auf unserer Großzügigkeit Trittbrettfahren. Prinzipiell fände ich es auch besser, die Probleme in den Heimatstaaten zu lösen, aber das ist nun mal momentan nicht realistisch (und daran ist Europa nicht unbedingt unschuldig, weil es sich selbst seit Ewigkeiten auf dem Militärbudget der Amerikaner ausruht). Da die Leute nun mal jetzt da sind, muss man ihnen eben helfen. Wenn man das nicht so sieht, weil man die Sache moralisch anders einschätzt, kein Problem. Aber wenn man es so sieht, weil man die Sachlage drastisch anders einschätzt, dann bitte Argumente, die über das Abstraktionsniveau "aber ich habe mir hier Gruppe X (Islam) und Gruppe Y (Deutsche) angeschaut, das kann ja gar nicht funktionieren!" hinausgehen. Im Kern hat drluv tatsächlich Recht: Mit den Horrorprognosen der Vergangenheit zum Thema Einwanderung könnte man Bücher füllen, über die man heute nur noch lachen kann. Alles das, was die AfD heute über die Auswirkungen der Asylbewerber sagt, habe ich vor 5 Jahren im Zuge der Sarrazin-Debatte (wohlgemerkt: nicht von ihm selbst) oder vor 10 Jahren von der JF auch schon gehört, nur dass es damals noch keinen Asylstrom gab. Wie gesagt: 12 der letzten 0 Bürgerkriege.
*dass diejenigen, die das tun, zurückgeführt werden müssen, bestreitet denke ich nur ein marginaler Teil der Bevölkerung
†Übrigens würde ich, ebenfalls wie explizit geschrieben, für geregelte Einwanderung ein Punktesystem begrüßen; allerdings müsste man es dann auch wirklich ernst meinen und die geeigneten Maßnahmen treffen um unberechtigte Einwanderung nach Deutschland unprofitabel zu machen (es hat durchaus einen Grund, warum "Punktesysteme" häufig von Ländern implementiert werden, die sich aufgrund ihrer geographischen Lage relativ gut abschotten können)
€dit:
dr.g0nzo hat geschrieben:
Ein weiterer Qualitätspost.